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Der Feminismus und die Amokläufer

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Mir reicht’s. (Wieder mal.) Ich hab die Nase voll von diesem Geseiere, diesen jammernden Selbstbeweihräucherungen, diesem verlogenen Weltreduzierungspathos. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich mich nicht für meine Geschlechtsgenossen schäme, und ich tue es aus freier Entscheidung, mit Hingabe und intellektueller Ernsthaftigkeit.

Und steigender Wut. Diese extremistischen Männerhorden, seien sie rechtsradikal, jüdisch-orthodox oder islamistisch oder was sonst noch: sie erzeugen durch die Bank Brechreiz in mir, wie jede nach Uniformität und Gleichschaltung strebende Ansammlung hirntoter Floskeln von Ruhm, Ehre und Bereitschaft, in den Tod zu gehen. All diese Idioten mit ihrer lebensverachtenden Negierung von allem, was gut, schön und lebens- wie liebenswert ist. Ach, wie viel ich kotzen könnte, passt ja doch auf kein Frühstücksbuffet.

Und jetzt ist also wieder der Feminismus, sind die bösen Weiblichkeiten daran schuld, dass in Amerika zwanzig kleine Kinder ihr Leben lassen mussten. Das schreibt Walter Hollstein, und der Berliner Tagesspiegel entblödet sich nicht, solchem Gedankenreduktionismus auch noch Platz zu bieten. Weil Schulen Tatorte von Amoklaufen waren und die Täter allesamt Männer, schließt Hollstein daraus messerstumpf: „Schule ist für viele Jungen in den letzten Jahren zu einem Horrortrip geworden.“

Man muss nur kurz darüber nachdenken, dass Morde und Amokläufe auch anderswo stattfinden, um zu erkennen, dass dieser Satz keinerlei kausalen Boden unter den Gänsefüßchen hat. Aurora: „Kinos sind für viele Jungen in den letzten Jahren zu einem Horrortrip geworden.“ Ein Einkaufszentrum, auch erst ein paar Tage her: „Shopping Malls sind für viele Jungen in den letzten Jahren zu einem Horrortrip geworden.“ Das ist doch gefährlicher geistiger Dünnpfiff, dafür hat er wohl auch noch Honorar bekommen?

Aber weil Hollstein anscheinend nur ein Thema kennt, wird halt passend gemacht, was ihm so einfällt: Das muss natürlich sein, dieses Zusammentreffen von Schule und Gewalt aus der Hand eines jungen Mannes, weil in den Schulen die Frauen das Sagen haben, denn: „Jungen wachsen heute in einem engen Frauenkäfig von Müttern, Omas, Tanten, Erzieherinnen, Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen, Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen auf.“ (Dass in den Einkaufszentren und Kinos Frauen das Sagen hätten, will das auch jemand behaupten?)

Ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden (ach, von Gedanken kann hier ja im eigentlichen Sinne eh nicht die Rede sein), warum da eigentlich keine Männer in dieser Kinderwelt auftauchen – sind die alle weggesperrt? Werden junge Männer beim Versuch, sich erziehend betätigen zu wollen, ohne Vorwarnung erschossen? Hat der Weltfeminismus ganz generell die Beteiligung von Vätern am Leben ihrer Kinder verboten? Und warum weiß ich dann davon noch nichts? – faselt Hollstein dann ein bisschen selektiv vor sich hin, dass vage vermutete weibliche Werte in Schule und Erziehungssystem irgendwie dafür sorgen, dass die Jungen von heute nicht mehr richtige Jungen sein können und deshalb unglücklich sind, ADHS kriegen und irgendwann mit Waffengewalt auf Mütter, Kinder und Marsmännchen losgehen. Okay, die Marsmännchen habe ich mir ausgedacht, aber Hollstein sich den Rest ja auch.

Wie ahistorisch ist dieser Blick eigentlich? Bis vor hundert Jahren waren Schulen nahezu ausschließlich männlich geprägt – Lehrer, Erzieher, Psychologen, all das waren seinerzeit Männer, und sind deshalb die wenigen Mädchen, die zur Schule gehen durften, mordende Psychopathinnen geworden? Und ist es nicht auch so, dass schon seit geraumer Zeit – nennen wir es mal: seit Beginn der Aufzeichnungen zu diesem Thema, also geschätzt seit dem Beginn der Geschichtsschreibung – es immer Männer waren, die weltweit den Großteil der physischen Gewalttaten verübt haben? Also auch schon lange bevor der Feminismus zu jener alles umfassenden Krake geworden sein könnte, die Hollstein und seine Glaubensgenossen sich da zusammenphantasieren?

In diesem schönen Video stellt Eric Anderson (ab ca. 6:10) fest, dass alle Welt sich fragen würde, was mit den Frauen los wäre, wenn sie auf einmal ähnlich gewalttätig würden, wie wir es von (vor allem heterosexuellen) Männern längst gewohnt sind (via Batz):

Für Hollstein ist das anscheinend kein Problem, sehr wohl aber, wenn Jungen „im Fach Deutsch Bienengeschichten lesen, im Kunstunterricht Schmetterlinge malen und beim Sport Schleiertänze aufführen“ müssen. Echt jetzt? Schmetterlinge, Bienen und Schleier machen aus Jungs unaufmerksame Schulversager und Amokläufer? So ein Glück, endlich haben die Armeen der Welt einen Weg gefunden, um die ultimativen, gnadenlosen Killer auszubilden: Schleiertanz in der Turnhalle zu Schmetterlingsmusik!

In Wahrheit sind das nur die armseligen Meinungen eines Menschen, der sich partout nicht vorstellen kann, dass ein Leben vielleicht sogar vollständiger sein kann als seine eigene mickrige Vorstellung von Männlichkeit. Dass ein junger Mensch, Mann, Junge womöglich stark und sensibel sein kann, Bienen und Actionfilme mögen, sich rangeln und kuscheln. Wie halt seine Schwestern und Freundinnen auch.

Wollen wir das echt? Wollen wir, dass solche Männer mit ihrem reduzierten, völlig lebensfremd eindimensionalen Verständnis von Geschlechtlichkeit und damit auch von Menschlichkeit die Diskussion darüber bestimmen und leiten, wie wir unsere Kinder erziehen wollen? Wollen wir ernsthaft das Glück unserer Kinder dadurch begrenzen, dass wir ihnen veraltete, einengende Korsette umzwingen, anstatt mit ihnen gemeinsam die Möglichkeiten zu entdecken, die sich aus fluideren Geschlechterbildern ergeben? Was, zum verfickten Teufel, ist so beschissen schlecht daran, dass Jungs auch mal schwach und Mädchen auch mal stark sein dürfen, Jungs strebsam und Mädchen bolzend?

Für Hollstein ist die große Gefahr die Orientierungslosigkeit und damit verbundene Überlastung: Es gebe keine „allgemeingültige[] Bilder[] von Männlichkeit“ mehr, „wie das früher der Fall war. Stattdessen müssen sie sich allein zurechtfinden – nicht zuletzt, weil das die männliche Rolle von ihnen verlangt.“ Und zugleich ist da der Leistungsdruck, zitiert Hollstein eine Studie (vermutlich diese): „Sie sollen Frauenversteher, durchtrainierte Machos, Kinderwagen schiebender Papa und Karrieretyp sein. Das Dilemma ist: Egal, für welche Rolle sie sich entscheiden: der Erfolg ist ihnen nicht garantiert“.

Und wieder stellt sich Hollstein ein Bein mit seiner ahistorischen Perspektive – denn war es wirklich je so, dass Männlichkeit (oder Weiblichkeit) je so eine einfache, geradlinige Sache gewesen wäre? Und glaubt er wirklich der nostalgisch-patriarchalen Wunschphantasie, dass den Männern früher der Erfolg garantiert gewesen sei? Die gerade an den Anforderungen ihrer „Männlichkeit“ gescheiterten Menschen sind Legion – und es sind eben Leute wie Hollstein mit ihren archaischen Männlichkeits- und Menschlichkeitsvorstellungen, die solche Bilder und Erfolgserwartungen zementieren.

Dahinter schwebt natürlich die Vorstellung einer angeblichen alle gesellschaftlichen Strukturen durchsetzenden Weiblichkeit, der die Männer mit ihrem wahren Wesen unterworfen sind. In einem anderen Text Ende September hat Hollstein das so umschrieben: „In der Geschlechterrevolution der späten Sechzigerjahre wurde der gesamte zwischenmenschliche Bereich von Frauen umgedeutet und inhaltlich neu gefüllt.“ Das ist begrifflich so vage, wie es inhaltlich nur von verschwörungstheoretischem Gebrubbel aufgeblasen gehalten wird.

Der genannte Text, im September 2012 in der Aargauer Zeitung erschienen (Quelle, der Text als Word-Datei), enthält im Übrigen, obwohl es um etwas inhaltlich anderes geht, schon nahezu wortgleich die gleichen Argumentationsversatzstücke, den Verweis auf die Bienengeschichten und die Sinus-Studie, die womöglich auch nur dieses eine Zitat zur Situation männlicher Jugendlicher hergibt. Was Hollstein von sich gibt, sind also wirklich nur Fetzen eines durch unhinterfragte Meinungen zusammengehaltenen Luftschlosses von Vorurteilen und Hass.

Die Ironie der Haltung Hollsteins liegt ja darin, dass sie alles andere als aufrecht, stolz und weltgegerbt daherkommt, was man früher mannhaft nannte: es ist eine weinerliche, unerwachsene Trotzreaktion darob, dass die Welt sich entwickelt und dabei nicht fortwährend nett zu ihm und den ach so leidenden Männern ist, deren Geschlechtsgenossen seltsamerweise immer noch die Spitzenpositionen weitgehend unter sich ausmachen. Immer sind die anderen schuld, fast immer die Frauen und vor allem die bösen, bösen Feministinnen; und die Weltsicht ist dann so beschränkt, dass man in allem nur diese eine Ursache am Werke sieht.

Das reduziert die Welt in intellektuell unredlicher Weise auf einen einzigen Zusammenhang, und das ist verschwörungstheoretisch, also vor allem: gedankenfaul. Zu träge, um einen originellen Gedanken zu fassen, zu unerwachsen, um auch nur ein bißchen Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen und zu desinteressiert, um die Welt und die Menschen so zu nehmen, wie sie sind: Schön, hässlich, furchtbar, wunderbar, liebevoll, hasserfüllt, sehnsüchtig, enttäuscht, weiblich, männlich, und immer auch alles dazwischen. Widersprüchlich und komplex vor allen Dingen.

Wenn ich mir etwas für Kinder wünsche, dann dies: dass sie diese Welt in ihrer unendlichen Fülle erleben, kosten und durchdringen können. Und dass ihnen möglichst wenige Menschen wie Walter Hollstein dabei begegnen.


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